Ein äußerlicher (oder innerer) Zwang kann ebenso ausbremsen wie eine fehlende innere Erlaubnis. Das ist mir schon häufiger aufgefallen. Seit Jahren beschäftige ich mich im Grunde durchgehend damit, nicht zu müssen. Und seit einigen Wochen nun immer wieder auch damit, mir innerlich mehr und mehr zu erlauben.
Wie ähnlich sich beide Situationen sind und wie einfach die Lösung im Grunde sein kann, überrascht mich nun aber doch.
Wenn das Dürfen zu klein ist
Neulich hatte ich ein sehr erhellendes Erlebnis mit einer Freundin.
Ich war sauer und habe ihr über den Grund berichtet. Und dass ich unglaublich froh bin, Wut und Ärger überhaupt mal wieder wahrzunehmen. Die beiden Gefühle hatte ich innerlich so verurteilt, dass sie sich oft schon gar nicht mehr bis in mein Bewusstsein getraut hatten. Nun durften sie mal wieder. Und ich war froh. Froh, die Wut im Bauch zu fühlen, die ich als Zeichen von Lebendigkeit empfunden habe. Froh, die Energie zu spüren, die damit verbunden ist – und die nötig ist, um eine Veränderung initiieren zu können.
Und sie? Zählte original alles das auf, was ich mir sonst immer selbst gesagt habe: Ärger ist ungesund, wütend sein bringt nichts, Du musst das loslassen. Einschließlich diverser Vorschläge, wie das geht. Super lieb gemeint, keine Frage. Und auch verständnisvoll gegenüber der Tatsache, dass ich wütend war (sie sah die Situation sogar als noch ärgerlicher an als ich). Und trotzdem – die Wut sollte weg. Echt jetzt?
Hast Du Dich schon mal aufgeregt und Dir dann sagen lassen, Du sollst Dich nicht so aufregen? Und, was ist passiert?
Richtig, ich habe mich noch mehr aufgeregt! Allerdings erst im dritten Schritt. Der erste war Irritation. Der zweite Ratlosigkeit. Warum gibt sie mir Tipps, die Wut zu beseitigen? Ich hatte ihr doch gerade ausdrücklich gesagt, wie sehr ich mich darüber freue, sie zu fühlen? Nach dem Treffen schickte sie mir sogar noch eine WhatsApp mit einem weiteren Loslassritual. Danke, aber GRRR! Hat sie mir nicht zugehört? Warum hat sie mich dann nicht verstanden?
Da ging mir ein Licht auf über das Missverständnis:
Ich wollte nicht sauer sein, ich wollte sauer sein dürfen!
Und mit dieser Mitteilung konnten wir das Gespräch erfolgreich beenden und die Situation war gelöst. Wut und Ärger verpufften gleich mit.
So einfach – und doch so kompliziert. Denn ich glaube, genau dieses Missverständnis ist es häufig, mit dem so mancher sich selbst im Weg steht: Weil wir wissen (oder gehört haben), dass ein Festhalten nicht gut ist, konzentrieren wir uns sofort auf das Loswerden. Dass das aber nur ein Gegenankämpfen ist, das genau das Gegenteil bewirkt, nämlich ein Bleiben oder Verstärken der Gefühle, können wir in dem Moment gar nicht logisch erfassen (Was schlecht ist, muss doch weg!).
Und dabei haben wir nur den einen Zwischenschritt vergessen, der das Loslassen ganz von allein bewirkt: Annehmen, was ist, es für den einen Moment da sein lassen… (Mehr dazu findest Du in diesem Artikel.)
Wenn das Müssen zu groß ist
Auf das gleiche Prinzip bin ich heute gestoßen, als ich mich an das Thema Aufräumen in meiner Kindheit erinnerte. Was nicht so schrecklich schwierig ist, denn Aufräumen war immer Thema. 😉
Ich weiß noch genau, dass ich eines Tages meine Mutter um ein Experiment gebeten habe. Ich war vielleicht 13 oder 14 und hatte die Ahnung, dass ich sehr wohl aufräumen würde, wenn ich mit dem Thema nur endlich mal in Ruhe gelassen würde. Denn ich merkte, wie mich die Unordnung selbst störte, wie aber auch mit jeder Ermahnung meiner Mutter die Motivation zum Aufräumen abnahm. Also: Sie ließ sich darauf ein, mich das versuchen zu lassen. Mit der Betonung auf „versuchen“, denn äußerlich ist das Experiment gescheitert. Innerlich jedoch nicht. Am ersten Tag war ich einfach nur froh, endlich mal meine Ruhe vor diesem leidigen Thema zu haben. Am zweiten Tag hatte ich keine Zeit. Am dritten Tag spürte ich richtig, wie das Aufräumen dran war. Voller Freude, recht zu haben, voller Motivation, Ordnung zu schaffen – und nach dem Abendbrot hatte ich auch Zeit, da sollte es losgehen.
Tja, beim Abendbrot war die Geduld meiner Mutter erschöpft. Das Gemecker ging wieder los, meine Motivation brach zusammen, das entzogene Vertrauen hat mich tief getroffen: „Du hast es nur gesagt, aber passiert ist ja nichts, wie lange soll ich denn noch warten?“ Eine Woche hatte ich erbeten, zwei Tage bekommen – genau einen halben Tag zu wenig. Oder auch nur eine halbe Stunde. Noch heute könnte ich heulen bei der Erinnerung! Ich habe ihr ganz klar gesagt, was innerlich passiert war, dass ich gerade soweit war, anfangen zu wollen – „Dann mach es doch jetzt!“
Finde den Fehler.
Sie hatte es leider nicht verstanden.
Ich habe diese Geschichte zwar nie vergessen, aber bis heute auch noch nie so klar erkannt, worum es wirklich ging:
Ich habe nicht das Machen verweigert, sondern das Müssen.
Und nun bin ich gespannt, wie es weitergeht.
Dass ich allergisch auf „Müssen“ reagiere, weiß ich schon länger. Deshalb schreibe ich auch schon lange keine To-Do-Listen mehr – die erhöhen nämlich nur die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Punkte darauf nicht mache.
Vertrauen hilft ganz gut, auch wenn ich oft im letzten Moment wieder in Zweifel gerate – und so die Geschichte von damals selbst wiederhole.
Das Müssen permanent zu verweigern kostet eine Menge Energie. Und es ist nicht mal mehr eine Mutter da, der ich beweisen könnte, dass sie mir vertrauen kann. Also kann ich das Ganze auch aufgeben…
Wenn ich also das nächste Mal feststelle, dass ich mich gegen etwas sträube, dann werde ich mich selbst fragen:
„Willst Du nicht machen oder willst Du nicht müssen?“
Und schon bin ich wieder in der liebevollen (Selbst-)Annahme.
Also wird es funktionieren. 🙂
Ich bin gespannt.
Machst Du mit?
Hier noch einmal zum Nachlesen die Links zum ausführlichen Artikel über die wunderbare Wirkung liebevoller Selbstannahme und darüber, was ich praktisch damit meine.
Lieber „Winkelblick“,
was für wunderbare Gedanken!
Und ich hätte sie nicht so in Worte fassen können – obwohl ich es nur zu gut kenne – dieses mir selber nicht zu erlauben, dieses oder jenes zu dürfen, zu wollen oder loszulassen… Oder eben auch, mir einzugestehen, dass es tatsächlich nicht ums „Machen“ geht – sondern um das Gefühl zu „Müssen“ – und das mag ich auch nicht…
Und zu deiner Frage:
[Wenn ich also das nächste Mal feststelle, dass ich mich gegen etwas sträube, dann werde ich mich selbst fragen:
„Willst Du nicht machen oder willst Du nicht müssen?“
Und schon bin ich wieder in der liebevollen (Selbst-)Annahme.
Also wird es funktionieren. 🙂
Ich bin gespannt.
Machst Du mit?]
Ja, ich mache gerne mit – mich zu fragen und mich liebevoll selbst anzunehmen!
Herzliche Grüße
Andrea
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Danke, liebe Andrea!
Und schön, dass Du mitmachst! 🙂
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